mein sonnenschirm, 2006 |
im heutigen blog 8 stelle ich
eine art fotografie der besonderen, spielerischen und etwas verrückten art vor.
im jahr 2003 entdeckte ich per
zufall in einem katalog eine digitalkamera der firma pretec mit speziellem
design, gedacht für ein zielpublikum mit einem flair für nicht alltägliche
massenware, oder einfach für leute mit experimentierfreudigem spieltrieb. die
kamera ist verpackt und getarnt in einem kugelschreiber, und, weil so für
potentielle fotoopfer nicht erkennbar, für „versteckte, spionageartige“
aufnahmetechniken vorgesehen. die auflösung mit 480x640 pixel war schon für die
damalige zeit mickrig und eigentlich untauglich, um irgendein klares bild zu
erzeugen. der sucher ist ein schlichtes loch, durch das man ohne probleme zahnstocher
oder zahnseide hindurchstossen könnte. die zielgenauigkeit ist absolut ungenau
und abhängig davon, in welchem winkel und wie nahe man sein auge ans loch
heranzupressen versucht. dementsprechend schockierend war die ausbeute. viele
bilder lagen neben dem ziel, der horizont oft in totaler schieflage. gespiesen wird
das „spionagetool“ von einer
aaa-batterie, die nach ca. 50 bildern den geist aufgibt und mich zwingt, als
wandelndes batterievorratslager in der welt herumzupilgern. um eben
batterieenergie zu sparen, schaltet sich die kamera nach einigen sekunden aus. oft
drücke ich auf den auslöser ohne zu bemerken, dass die kamera out of order ist
und es dauert zu lange , bis sie wieder durch einen drehmechanismus aktiviert
werden kann. schon manche schöne szene konnte so nie verewigt werden, und ist
im universum darum nur als flüchtige energie gespeichert.
die erste bilderserie auf dem
monitor war ein schock. alle bilder flau und ohne farbe, eigentlich nur eine graue
sauce, wie sie ein düsterer novembertag nicht besser bereitstellen kann. meine
frustration entlud sich in der aggressiven bedienung der farbregler im photoshop
unter verwünschungen der einfacheren art. trial and error war doch schon immer
das motto der evolution – und siehe da, das universum wollte sich mit mir
versöhnen und hatte mich auf die richtige fährte gebracht: phönix entstieg der
grauen sauce und es entstanden plötzlich bilder mit fast kleeartigen, farbigen
pixelrechtecken, die einen gemäldeartigen touch hervorzauberten. wunderbar zum
ausdruck kommt dieses phänomen bei vergrösserungen ab 60 cm und mehr.
nun war der bann gebrochen, der
jubel gross, und ich war nicht mehr zu halten. ich musste bereits aufpassen,
dass der kugelschreiber nicht mit dem rechten auge verschmolz oder sogar
anwuchs.
selbstporträt i-pen, 2011 |
die erscheinung des nicht mehr
ganz jungen mannes mit einem kugelschreiber vor dem rechten auge und die begegnung
mit diesem fotoalien erstaunt immer wieder viele zeitgenossen, die ihrer
wahrnehmung auf einmal gar nicht mehr sicher sind. staunen, mitleidiges
kopfschütteln, aber auch interessiertes nachfragen sind die reaktionen. ich
kann die massen an offenen mündern nicht mehr zählen, und ich bin in diesem
kontext auch immer wieder darüber entzückt, obschon ich ja eigentlich weit geöffnete
münder in meiner früheren berufstätigkeit zur genüge kennengelernt hatte. diese
grosse aufmerksamkeit, die diesem fototool und dem menschen dahinter entgegengebracht
wird, lässt natürlich jeden fotospion sofort auffliegen.
leider, aber irgendwie auch
verständlich, wurde die produktion dieses fotografierenden kugelschreibers
eingestellt. erhältlich ist noch eine videoversion ohne sucher. das macht das erfassen
eines sujets aber noch eine spur schwieriger.
vielleicht entdeckt die firma pretec
ja auf grund obiger bilder das grandiose kreative potential dieses
kugelschreibers neu und startet eine grossproduktion.
das bild von blog 8 „ mein
kleiner sonnenschirm“ gehört zu einer strandserie, die 2004 in kalabrien
entstand. die ganze serie ist auf der homepage unter der neuen rubrik i-pen fotografie aufgeschaltet. das bild
„ la mama am strand“ repräsentiert die italianità sehr schön. es war eine
erheiternde szenerie, nicht nur perfekt gespielt, sondern auch umwerfend
intoniert.
in meinem buch sind die bilder auf
den seiten 21, 44 und 63 mit der i-pen kamera geschossen, ebenso das bild von
blog 4.
Wunderbare Lichtwirkung der verpixelten Strandbilder!
AntwortenLöschenDie Farben leuchten durch die additive Mischung ähnlich einem pointilistischen Werk von z.B. Signac.
"der horizont oft in totaler schieflage"
...die meist leichte Schrägstellung des Pixelgrids (gut sichtbar z.B. bei Bild "am strand") verleiht den Bildern zusätzliche Dynamik; entsteht dieser Effekt (allenfalls ursprünglich ungewollt) durch die Korrektur der Horizontlinie bei der Nachbearbeitung?
lieber hilmar
AntwortenLöschenherzlichen dank für deine wiederum sehr kreativen anregungen.
die schrägstellung der pixelgrids ist ungewollt und ist meines erachtens nicht auf die korrektur des horizontes zurückzuführen. ich glaube eher, dass die verzeichnung des „schlechten objektivs“ und der weitwinkeleffekt zu diesen spielerischen verzügen führt, aber dadurch auch die dynamik gesteigert wird.
mit dem vergleich zu den werken von paul signac hast du absolut recht. es ist vor allem interessant, wie schlechte fotografische arbeitswerkzeuge - technisch und materialmässig absolut verschieden von der malerei - hundert jahre später verblüffend ähnliche bildresultate hervorbringen können. darum ist diese kugelschreiberkamera so faszinierend, aber auch technisch herausfordernd.
herzlich
urs